Pia Huber

Schwingungen der Ebene

Aus Zürich an die Ufer der Mulde gekommen. Die Gebirgszüge der Schweiz im Kopf, empfangen Pia Huber die Weiten der Ebene. Der Himmel scheint ferner, die Horizontlinie gleichförmiger. Ein längerer Studienaufenthalt in Höfgen lässt die Malerin durch die ihr fremde, nach allen Seiten hin offene Landschaft, die sich nur ab und an zu sanften Hügeln aufschwingt, streifen. Brach liegende Flächen, umgebrochener Acker, Weideland. Es ist Frühjahr, von Schneeresten gezeichnet.
Für die Künstlerin aus der Stadt allemal eine Herausforderung, der sie sich neugierig stellt, unvoreingenommen annehmen kann, was sie sieht, es auf der Fläche zu bändigen, zu ordnen, zu fassen, dabei neue künstlerische Bereiche zu erobern.

Die Aquarellzeichnungen atmen noch den direkten Natureindruck. Mit ihnen nimmt Pia Huber vorsichtig Kontakt zur Landschaft auf, sucht nach Konzentrationspunkten, greifbaren Gliederungen. Das geschieht locker und leicht, als flössen ihr die Darstellungen aus der Hand, hingetuschte Erinnerungen, sicher auf die Blattmitten konzentriert.
Die auf Packpapier getuschten und geschriebenen Arbeiten sind rigoroser. Mit ihnen findet die Künstlerin zu der die gesamte Serie bestimmenden Ausdrucksform, und es gelingt ihr, expressiven Gestus mit meditativer Versenkung zu paaren. Das rauhe Papier mit seinen Verwerfungen hilft ihr dabei, hier muss sie direkt antworten, konzentriert zur Sache kommen. Und schon stürzen die Liniengebilde auf den Betrachter zu, entsteht suggestiver Bildraum, werden Ackerfurchen, Himmel und Horizont in rhythmisches Wollen gebunden. Formationen in Braun- und Schwarztönen, flächiges Weiß, ab und an kontrapunktisch Grün. Das Gesehene wird quasi gefiltert, hinter den Oberflächen die innere Struktur der Landschaft aufzuspüren, ihren emotionalen Gehalt sichtbar zu machen.

In ihren Malereien wird das noch deutlicher. Mit ihnen verändert sich der Blick der Künstlerin auf die Landschaft. Variationen, Anverwandlungen verschiedenster Art entstehen. Einmal sind es wie durch Schablonen gesehene Ausschnitte, nah herangeholte Motive, die dennoch Distanz atmen. Im Extrem gleichen sie Sehschlitzen, werden gestreckte Querformate oder aufschießende Hochformate, durchzogen von Linien, die breit und lagernd in sich ruhen können oder sich in expressiver Gestimmtheit bündeln.
Dann wieder sind die Ausschnitte klassischer, nehmen die Ebenen mehr aus der Ferne in den Blick, lassen Licht aufleuchten, Raum groß werden, die Anordnung von Feldern greifbar sein. Oder die Fläche wird hoch hinauf getrieben, sie mit einem schmalen Streifen Himmel zu krönen.
Die aufgetragene Ölfarbe ist dünn gesetzt, sensibles Suchen,

nichts Mechanisches, wodurch der expressive Grundgestus der Bilder gedämpft wird, beinahe angehalten, mit Ruhe gepaart. Auch die Farben selbst sind eher zurückhaltend. Da sind erdige Brauns, sanfte Grün- und Ockertöne und ein untergründiges Grau, das sich in Schwarz verwandeln kann. Insgesamt leises Schwingen, immer mal wieder durchzogen von Weiß. Einige der Malereien nähern sich monochromen Einheiten, werden zu mit Farbe versiegelten Bereichen, zugesperrten Zonen.
Wie nah kann man einen Ausschnitt heranzoomen, ohne den Ge-samtzusammenhang zu verlieren, wie weit einen Raum in die Fläche kippen, ohne die räumliche Struktur aufzugeben, wie ihn stauchen oder strecken ohne den Eindruck der Weite zu opfern, den die Landschaft vorgibt. Japanische Holzschnitte scheinen wie ein Hintergrundrauschen anwesend zu sein, in der flächigen Lineatur, der dekorativen Rhythmik, dem zur Ruhe gebrachten Aufruhr, der formalen Konsequenz.

Auffallend setzen sich die feinen Pinselzeichnungen in brauner Tu-sche von den Aquarellen, Malereien und Arbeiten auf Packpapier ab. Nicht nur, weil sie nicht mehr an eine konkrete Landschaft gebunden sind – auch wenn sie die Natur direkt im Auge behalten – sondern weil die Künstlerin hier ihre Fähigkeit zu dekorativer Gestaltung voll auslebt, sich Schwünge und lineare Extras erlaubt. Eine Dekorativität, die lebendig und spielerisch ist, frei allen geistlosen Dekorierens. Gräser und Halme zeigen sich, wiegende Grasbüschel. Ausschnitthaft, in ungewöhnlichen Kompositionen, können sie aus einer Ecke des Blattes über die gesamte Papierfläche greifen, dann wieder grundlos abbrechen, verschwinden. Wie Anschläge, Ahnungen, Verlockungen. Die Linien sicher und nachdrücklich fließend, wird die weiße Fläche der Papiere zum Resonanzraum für Phantasien aller Art. Als wäre Wind über die Blätter gegangen, zu ordenen was keiner Ordnung bedarf, fremdartige Kalligraphien, bei denen der Rhythmus das einzig gliedernde Ele-ment ist.

Letztlich hat Pia Huber in der ihr fremden Landschaft auch das Eigene gefunden, hat auf Papieren und Leinwänden die Spannung zwischen fern und nah, zwischen fremd und vertraut ausbalanciert, ist dabei künstlerisch gewachsen. Zurück in ihrem Zürcher Atelier wird das Kreise ziehen, werden die empfangenen Schwingungen der Ebene weiterwirken. Ina Gille, 2007